Inkontinenz: Symptome, Diagnose, Behandlung

Trotz Häufigkeit ein immer noch oft verschwiegenes Thema: die Inkontinenz. Wie sie entsteht, warum sie oft lange Zeit unbehandelt bleibt und welche Therapiemöglichkeiten die moderne Medizin bereithält, lesen Sie hier.

Inkontinenz: sehr häufig und dennoch Tabuthema

Die Inkontinenz, genauer: Harninkontinenz (zur Abgrenzung von Stuhlinkontinenz), ist ein überaus verbreitetes Gesundheitsproblem. Von Harninkontinenz ist dann die Rede, wenn Urin nicht bzw. nicht immer willentlich zurückgehalten werden kann. Sie hat eine relativ hohe Prävalenz (Häufigkeit) in der Bevölkerung, wobei von einer sehr hohen Dunkelziffer auszugehen ist - aus dem Grund, dass viele Betroffene sich nicht an Mediziner:innen wenden. Eine österreichische Studie aus dem Jahr 2003 ergab etwa, dass 26 Prozent der befragten Frauen (ab 20 Jahren) Symptome einer zumindest leichten Inkontinenz haben. Jedoch hatten zu diesem Zeitpunkt nur 5 Prozent deshalb ärztlichen Rat eingeholt (Madersbacher 2003). Eine Befragung in Deutschland im Jahr 2005 ergab, dass rund 15 Prozent der weiblichen Bevölkerung Inkontinenzbeschwerden haben (Beutel 2005). Die Inkontinenz kann, oft abhängig von der Ausprägung, massive Auswirkungen auf die Lebensqualität haben und ist häufig mit Tabucharakter und Scham besetzt. Mit zunehmendem Alter steigt auch die Wahrscheinlichkeit für die Harninkontinenz bei Frauen und Männern: Für die Altersgruppe der über 70-jährigen zu Hause lebenden Menschen wurde ein Prävalenz-Mittelwert von etwa 30 Prozent ermittelt (DEGAM 2004). Frauen sind sowohl in jungen als auch in älteren Jahren häufiger betroffen als Männer - die Gründe hierfür sind mannigfaltig

Welche Arten von Inkontinenz gibt es?

Die Harninkontinenz kann in unterschiedlicher Form auftreten: Die häufigsten sind Belastungsinkontinenz (Stressinkontinenz), Dranginkontinenz, Mischharninkontinenz und “Überlaufinkontinenz” (oder: Inkontinenz bei chronischer Harnretention). Auch eine Lagerungsinkontinenz (Urinverlust bei Lagewechsel, z. B. von Liege- in Sitzposition) oder “Giggle”-Inkontinenz (Urinverlust beim Lachen) sind möglich. Daneben können auch zahlreiche neurogene Ursachen eine Harninkontinenz auslösen (AWMF 2021).

Die Belastungsinkontinenz tritt aufgrund einer gestörten Verschlussmechanik der Harnröhre auf. Steigt der Druck im Bauchraum - etwa beim Husten, Niesen, Lachen, Aufstehen bzw. Lagewechsel - führt dies zu einem ungewollten Urinverlust. Diese Form der Inkontinenz tritt bei Frauen häufig in den letzten Schwangerschaftsmonaten auf, da auch hier der Druck im Bauchraum stark erhöht ist, bzw. entsteht sie oftmals in Folge einer oder mehrerer Geburten. Die Dranginkontinenz beschreibt einen plötzlichen, sehr intensiven Harndrang, der aufgrund der Dringlichkeit zu Urinverlust führt. Die Dranginkontinenz kann mit einer Blasenentzündung in Verbindung stehen aber auch mit Fremdkörpern in der Harnröhre oder neurologischen Erkrankungen. Von einer Mischinkontinenz spricht man dann, wenn sowohl eine Belastungs- als auch eine Dranginkontinenz und eine entsprechende Mischsymptomatik vorliegt. Zu einer Überlaufinkontinenz kommt es vor allem dann, wenn die Blase nie gänzlich entleert wird und dadurch übervoll ist (AWMF 2021).

Warum entsteht eine Harninkontinenz?

Die Ursachen und Risikofaktoren für die Entstehung der Beschwerden sind mannigfaltig. Neben dem Alter, das als entscheidender Risikofaktor gilt, sind etwa auch Belastungen wie häufiges Heben oder Übergewicht mögliche Ursachen für die Inkontinenz - dies gilt für Frauen sowie für Männer. (Nach dem 80. Lebensjahr sind beide Geschlechter gleichermaßen von Harninkontinenz betroffen; Gibbs 2007). Daneben können eine Vielzahl von Erkrankungen die Harninkontinenz begünstigen: neben Harnwegsinfekten (Blasenentzündung), Blasensteinen oder Verstopfung können auch Diabetes mellitus Typ 2, Herzinsuffizienz oder neurologische Erkrankungen (z. B. Morbus Parkinson, Multiple Sklerose, Morbus Alzheimer) Auslöser sein. Auch bestimmte Medikamente bzw. -kombinationen können ursächlich für die Inkontinenz sein, darunter etwa Diuretika, Beta-Blocker, ACE-Hemmer oder Antidepressiva. Kommt es zu einem sehr plötzlichen Auftreten der Harninkontinenz könnten auch akute Erkrankungen wie Bandscheibenvorfall oder Schlaganfall die Ursachen sein (AWMF 2021). Häufig sind auch Erkrankungen bzw. Schäden, die das Nervensystem betreffen die Ursache für eine Inkontinenz (z. B. Schäden an der Wirbelsäule, Parkinson-Syndrom etc.) - dann spricht man von Neurogenen Blasenentleerungsstörungen.

Speziell bei Männern können zurückliegende Prostata-Operationen oder -Erkrankungen häufige Gründe dafür sein, warum eine Inkontinenz entsteht (Irwin 2019). Bei Frauen ist oftmals die weniger starke Beckenbodenmuskulatur, die mit zunehmendem Alter (und schlechtem Trainingszustand) zu weiterer Schwächung neigt, ein Grund für die Inkontinenz. Auch die Menopause ist ein Risikofaktor: Aufgrund von verminderter Hormonproduktion (weniger Östrogen) verändert sich die Durchblutung der Harnröhre, wodurch es häufiger zu Inkontinenz kommt. Sehr oft steht Harninkontinenz auch mit einer Schwangerschaft oder Geburt in Zusammenhang - beide Ereignisse bedeuten eine hohe Belastung für den Beckenboden (AWMF 2021).

So erfolgt die Diagnose der Inkontinenz

Das ärztliche Gespräch, am besten bei Fachärzt:innen für Urologie (für Männer und Frauen!) gibt im Fall der Inkontinenz die allerwichtigsten Hinweise: Berichten Patient:innen von ungewolltem Harnverlust, dann ist die Diagnose in der Regel klar. Was allerdings weiter abzuklären ist, sind die möglichen Ursachen der Inkontinenz und die Art der Inkontinenz. Ein Verdacht ob der Art der Inkontinenz ergibt sich meist schon aus der Schilderung der Patient:innen. Essenziell ist die Erhebung der Krankengeschichte sowie der eingenommenen Medikamente, da bestimmte Erkrankungen und Arzneimittel eine Harninkontinenz stark begünstigen können. Ein wichtiger Diagnoseschritt ist die Urinanalyse: Mithilfe eines Streifentests oder - besonders genau - einer Urinkultur können beispielsweise Harnwegsinfektionen oder an eine Glucosurie (zu hohe Zucker-Ausscheidung im Urin) sowie eine Mikrohämaturie (Blut im Urin) ausgeschlossen bzw. festgestellt werden (AWMF 2021). 

Um festzustellen, ob anatomische Gegebenheiten eine Ursache für die Inkontinenz sind, erfolgt bei Bedarf auch eine Untersuchung der Prostata (bei Männern) bzw. eine gynäkologische Untersuchung (bei Frauen) (Chapple 2005). Im Rahmen der frühen Behandlung kann auch ein “Blasentagebuch” (Miktionstagebuch) ein sehr sinnvolles Diagnose-Hilfsmittel sein: Durch die Aufzeichnung von Symptomen, Häufigkeit, Harndrangstärke und anderer Parameter (z. B. Flüssigkeitsaufnahme) kann so eine relativ objektive Bestandsaufnahme über einen gewissen Zeitraum (meist über zumindest drei Tage hinweg) erfolgen. Zeigt sich die Zuordnung der Symptomatik als schwierig, sind andere Unklarheiten vorhanden, die eine gezielte Therapie nicht möglich machen, oder gibt es Diskrepanzen zwischen klinischem Befund und Anamnese, so ist eine urodynamische Untersuchung empfohlen: Sie umfasst die Blasendruck-, die Harnstrahl- und die Harnröhrendruckprofilmessung (AWMF 2021).

Behandlung der Inkontinenz: Diese Optionen gibt es

Je nach Symptomausprägung, nach Leidensdruck und Art der Inkontinenz können unterschiedlichste Behandlungsmodalitäten in Frage kommen. Die drei Säulen der Therapie sind 1. Lebensstil-Veränderungen, 2. konservative Therapie (Medikamente, Physiotherapie, Elektrostimulation der Nerven des Beckens) und 3. chirurgische Eingriffe (Irwin 2019). Auch Beckenbodentraining kann helfen. Das wichtigste Ziel ist die Verbesserung der Lebensqualität und die Ausschaltung möglicher die Inkontinenz verursachende Faktoren. Da sich aufgrund der Erkrankung ein psychischer Leidensdruck manifestieren kann, sollten auch psychologische Maßnahmen in Betracht gezogen werden (Shinohara 2013).

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